Deutschland rühmt sich oft seiner Ingenieurskunst und Innovationskraft. Doch ein Blick hinter die Kulissen offenbart eine besorgniserregende Realität: Unsere Verwaltung ist vielerorts noch im letzten Jahrhundert stecken geblieben. Eine Mischung aus undurchdringlicher Bürokratie und einem erschreckenden Digitalisierungsdefizit bremst Innovationen, hemmt das Wirtschaftswachstum und verursacht immense Kosten. Besonders hart trifft es dabei die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), das Rückgrat unserer Wirtschaft, sowie Solo-Selbstständige und Kleinunternehmen, die oft am Rande ihrer Belastungsgrenze agieren.
Bürokratie: Ein undurchdringlicher Dschungel
Wir alle kennen es: Formulare, die man zigfach ausfüllen muss, Anträge, die von einer Abteilung zur nächsten geschickt werden und E-Mails, die ins Leere laufen. Die deutsche Bürokratie ist berühmt-berüchtigt für ihre Komplexität und Trägheit. Jedes noch so kleine Vorhaben scheint an einem Berg von Vorschriften und Genehmigungen zu scheitern. Das kostet nicht nur Nerven, sondern vor allem auch wertvolle Zeit und Geld. Zeit, die Unternehmen stattdessen in die Entwicklung neuer Produkte, die Verbesserung ihrer Dienstleistungen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen investieren könnten. Stattdessen wird sie mit dem Ausfüllen von Anträgen und dem Warten auf Bescheide verschwendet.
Die fehlende Digitalisierung: Ein Standortnachteil
Hand in Hand mit der Bürokratie geht die mangelnde Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Während private Unternehmen längst auf digitale Prozesse, Cloud-Lösungen und Künstliche Intelligenz setzen, hinken viele Behörden weit hinterher. Aktenberge statt digitaler Dokumente, Faxgeräte statt sicherer Online-Portale und der persönliche Gang zum Amt statt bequemer digitaler Antragstellung sind leider noch immer die Regel statt die Ausnahme.
Das hat fatale Folgen:
- Ineffizienz: Manuelle Prozesse sind fehleranfällig und extrem zeitaufwendig.
- Mangelnde Transparenz: Wo ist mein Antrag? Wann kann ich mit einer Antwort rechnen? Ohne digitale Nachverfolgung bleiben diese Fragen oft unbeantwortet.
- Hohe Kosten: Die aufwendige Bearbeitung von Papierdokumenten und manuellen Prozessen bindet Personal und Ressourcen, die anderweitig effizienter eingesetzt werden könnten.
- Frust für Bürger und Unternehmen: Die fehlende digitale Infrastruktur macht den Umgang mit Behörden zu einer zeitraubenden und nervenaufreibenden Angelegenheit.
KMU und Solo-Selbstständige: Die Leidtragenden
Besonders betroffen von dieser Situation sind, wie bereits erwähnt, die KMU, Kleinunternehmen und Solo-Selbstständige. Sie verfügen im Gegensatz zu Großkonzernen oft nicht über eigene Rechtsabteilungen oder ein Heer von Mitarbeitern, die sich ausschließlich um bürokratische Angelegenheiten kümmern können. Für sie bedeutet jeder zusätzliche bürokratische Aufwand eine direkte Belastung ihrer begrenzten Ressourcen.
Ein besonders eklatantes Beispiel ist der Umgang mit den Finanzämtern. Während große Unternehmen bei Verzögerungen oder Fehlern auf ein starkes juristisches Team zurückgreifen können, das Verhandlungen führt und Fristen verhandelt, werden Kleinunternehmen und Solo-Selbstständige bei kleinsten Verzögerungen oder Formfehlern oft unverhältnismäßig hart bestraft. Mahngebühren, Verspätungszuschläge und im schlimmsten Fall sogar existenzbedrohende Geldbußen sind die Realität für diejenigen, die ohnehin schon mit einem hohen administrativen Aufwand kämpfen. Oftmals haben schon Gründer das Gefühl, von den Finanzbehörden als potenzielle Steuerhinterzieher betrachtet zu werden, während bei Großunternehmen oder der Finanzelite Steuerstrafprozesse wegen Bluthochdruck oder Vergesslichkeit zu den Akten gelegt werden. Dieses Gefälle in der Behandlung ist nicht nur ungerecht, sondern auch kontraproduktiv für ein funktionierendes Unternehmertum. Es erzeugt eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens, anstatt innovative Köpfe zu ermutigen.
Erst kürzlich wurde in den Wirtschaftsnachrichten vermeldet, dass nicht wenige der dringend benötigten Fachkräfte das Land wieder verlassen bzw. verlassen wollen, vor allem genervt von langen Bearbeitungszeiten bei der Anerkennung von Bildungsabschlüssen – da haben schon unsere Nachbarländer, aber auch USA und Kanada mehr zu bieten und ausländische Experten fühlen sich mit offenen Armen empfangen.
Föderalismus: Segen und Fluch zugleich
Der deutsche Föderalismus ist ein Grundpfeiler unserer politischen Ordnung und hat zweifelsohne viele Vorteile – etwa die Möglichkeit, auf regionale Besonderheiten einzugehen und die Macht zu dezentralisieren. Doch wenn es um die Digitalisierung der Verwaltung und die Beschleunigung von Prozessen geht, entpuppt er sich oft als Innovationsbremse. Die Zuständigkeiten sind auf Bund, Länder und Kommunen verteilt, was zu einem Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen, IT-Systemen und Standards führt.
Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen möchte in mehreren Bundesländern expandieren. Statt einer einheitlichen Anlaufstelle muss es sich durch die spezifischen Vorschriften und digitalen Portale von 16 verschiedenen Landesverwaltungen kämpfen. Das führt zu:
- Doppelt gemoppelt hält nicht immer besser: Anstatt bundesweit einheitliche digitale Lösungen zu entwickeln, wird in jedem Bundesland oft an eigenen, Insellösungen gearbeitet. Das ist ineffizient und bindet unnötig Ressourcen. Ein gutes Beispiel ist das Onlinezugangsgesetz (OZG), das alle Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 digitalisieren sollte. Statt einer zentralen Umsetzung haben die Länder oft eigene Wege beschritten, was zu unterschiedlichen Umsetzungsständen und einer verwirrenden Vielfalt an Portalen führt.
- Komplexität und Inkompatibilität: Die unterschiedlichen IT-Systeme und Schnittstellen zwischen den Ebenen erschweren den Datenaustausch und die Vernetzung. Was in einem Bundesland funktioniert, kann in einem anderen zur Stolperfalle werden. Das behindert nicht nur die Zusammenarbeit zwischen den Behörden, sondern auch die Entwicklung und Skalierung digitaler Produkte und Dienstleistungen durch Unternehmen.
- Hemmung von Innovation: Wenn jedes Land sein eigenes Süppchen kocht, fehlt oft die kritische Masse für die Entwicklung wirklich wegweisender digitaler Anwendungen. Innovationen, die bundesweit eingesetzt werden könnten, scheitern an den föderalen Strukturen oder werden nur lokal umgesetzt, ohne die Möglichkeit zur breiten Wirkung.
- Langsamer Wandel: Entscheidungen müssen oft auf mehreren Ebenen abgestimmt werden, was Prozesse verlangsamt und die Anpassungsfähigkeit an neue Gegebenheiten erschwert. Das Tempo der digitalen Transformation ist jedoch rasant, und Deutschland droht hier den Anschluss zu verlieren.
Was muss geschehen?
Die Diagnose ist klar, die Therapie erfordert jedoch Mut und Entschlossenheit. Der sogenannte „Doppelwumms“ unter der Regie des letzten Bundeskanzlers hat ja nun nicht allzu viel Wirkung gezeigt. Um so mehr sollten sich die aktuell politisch Verantwortlichen ins Zeug legen. Um Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen und das volle Potenzial unserer Wirtschaft auszuschöpfen, müssen wir:
- Bürokratie massiv abbauen: Gesetze und Verordnungen müssen regelmäßig auf ihre Notwendigkeit und ihren tatsächlichen Nutzen überprüft werden. Prozesse müssen verschlankt und vereinfacht werden.
- Digitalisierung konsequent vorantreiben: Investitionen in eine moderne IT-Infrastruktur und digitale Kompetenzen in der Verwaltung sind unerlässlich. Online-Portale für Anträge, digitale Aktenführung und die Nutzung von KI zur Prozessoptimierung müssen flächendeckend eingeführt werden. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) muss endlich flächendeckend und bürgerfreundlich umgesetzt werden.
- Gleiches Recht für alle: Der Umgang der Behörden mit Unternehmen muss fair und transparent sein. Kleinunternehmen und Solo-Selbstständige dürfen nicht länger gegenüber Großkonzernen benachteiligt werden. Hier braucht es mehr Fingerspitzengefühl und Verständnis für die oft schwierige Situation der kleinen Akteure.
- Föderalismus digital neu denken: Um die Vorteile des Föderalismus zu erhalten und gleichzeitig die digitale Transformation zu beschleunigen, brauchen wir mehr Kooperation und verbindliche Standards zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Einheitliche digitale Plattformen und die konsequente Nutzung von Open-Source-Lösungen könnten hier einen großen Unterschied machen. Es geht nicht darum, den Föderalismus abzuschaffen, sondern ihn fit für das digitale Zeitalter zu machen.
- Verwaltung als Dienstleister verstehen: Die Verwaltung sollte sich nicht als Kontrollinstanz, sondern als Unterstützer und Dienstleister für Bürger und Unternehmen begreifen. Ein Mentalitätswechsel ist hier dringend erforderlich.
Es ist höchste Zeit, dass Deutschland die Digitalisierungsbremse löst und die Innovationskraft unserer Wirtschaft entfesselt. Nur so können wir im internationalen Wettbewerb bestehen und unseren Wohlstand langfristig sichern. Die Potenziale sind enorm, wir müssen sie nur endlich heben.
Foto: Nikko Macaspac